15. März 2009

Aus gegebenem Anlass

Grüße euch!

Wer mich kennt weiß, dass ich unheimlich gerne Video- und Computerspiele spiele. Das können harmlose Vertreter wie Super Mario Galaxy oder The Legend of Zelda sein, oder aber auch mittlerweile verbotene und beschlagnahmte Titel wie Manhunt oder Soldier of Fortune. Ich hab sie alle gespielt, halte mich aber für einen grundvernünftigen Menschen (mit Ausnahmen). Da in den letzten Tagen diese unsägliche Killerspiel-Diskussion wieder aufflammt, habe ich mich, wenn es auch nicht zum Thema des Blogs passt, dazu entschieden, ein paar Worte dazu zu schreiben.

Ich sage es vorher: Das hier war das erste und letzte Mal, dass ich dieses saublöde K-Wort benutzt habe, das von ein paar hysterischen Hühnern erfunden wurde, die zu faul waren, sich richtig zu informieren. Das Wort steht weder in irgendeinem Wörterbuch noch ergibt es irgendeinen Sinn.

Ein Amoklauf ist eine furchtbare Sache. Mord ist niemals schön, weder auf den Schlachtfeldern verschiedener Kriege, noch in einem verschlafenen Städtchen wie Winnenden oder in Erfurt einige Jahre zuvor - bei letzteren trifft es ob der Unvorhersehbarkeit aber besonders hart. Auf die erste Stille nach dem Schock folgt die Aufbereitung und es ist nur natürlich, dass man einen Schuldigen sucht. Hitler war nach dem Zweiten Weltkrieg wohl die richtige Person, die man beschuldigen konnte, es gibt aber auch Beispiele in der Menschheitsgeschichte, die zeigen, wie schnell man einen Sündenbock gefunden hat und wie rigoros gegen diese armen Teufel vorgegangen wird, obwohl er vielleicht völlig unschuldig ist.

Wo wir gerade beim Zweiten Weltkrieg waren: Nehmen wir die Juden! Wie oft wurde ihnen irgendwas in die Schuhe geschoben, wofür sie gar nichts konnten? In Folge der Pest wurde abertausende Juden gefoltert und ermordet, weil die Menschheit einfach noch nicht weit genug war, die wirklichen Ursachen zu erforschen. Bei der Hexenverfolgung war es ähnlich: Dinge, die der Mensch zu jener Zeit nicht verstand, wurden für verschiedenste Dinge beschuldigt und ausgemerzt. Nun, viele hundert Jahre später, wissen wir, wie albern all dies eigentlich wäre, wenn es nicht durch seine Grausamkeit schockieren würde. Ich will nicht sagen, dass sich dies heutzutage wiederholt, aber das, was in den Medien dieser Tage gezeigt wird, lässt einige Parallelen erkennen. Edmund Stoiber hat zum Thema der gewalthaltigen Computerspiele mal gesagt "Dieses Dreckszeug hat in den deutschen Kinderstuben nichts verloren". Ich entgegne darauf, dass so ein verbohrter, konservativer Polemiker niemals in eine Position gelangen dürfte, in der er so viele (ebenso desinformierte) Zuhörer mit diesen hintergrundslosen Verhetzungen beeinflussen kann, frei nach dem Motto "Mit leerem Kopf nickt es sich leichter".

Der Amokläufer hat am Vorabend Far Cry 2 gespielt, einen Ego Shooter, in dem man in Afrika verschiedene Aufträge erledigt - ein Großteil dieser Aufgaben besteht darin, Menschen zu töten. Zur Überraschung vieler Spielegewalt-Kritiker handelt es sich dabei nicht um Schulmädchen oder Rollstuhlfahrer, sondern um Menschenhändler, Drogenbarone, Warlords und Verbrecher. Natürlich muss man sich trotzdem die Frage gefallen lassen, warum Gewalt in Spiele überhaupt nötig ist. Nun, wieso enthalten so viele Filme Gewalt? Wieso finden Filme wie "Saw" reißenden Absatz? Warum bekommt ein Film wie "No Country For Old Men" so viele Oscars, wenn die Gewaltdarstellung so explizit ist? Ganz einfach: Gewalt ist ein Stilmittel, ebenso wie Liebe, Humor, Tragik o.ä. Gewalt lässt uns Angst fühlen, Abscheu, teilweise vielleicht Genugtuung; jedenfalls ist sie aus der Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Wenn Thomas Harris mich in seinem Buch "Hannibal" dazu zwingt mir vorzustellen, wie ein Mensch bei lebendigem Leib von Wildschweinen aufgefressen oder das Hirn eines lebenden Menschen (teilweise von ihm selbst) verspeist wird - und ich diese Dinge mit meiner eigenen Vorstellungskraft zu Bildern in meinem Kopf umwandeln muss, finde ich das wesentlich verwerflicher als die Version von Ridley Scott, der mir diese furchtbaren Gedankengänge abnimmt und mir einfach nur das Ergebnis zeigt, noch dazu mit einer hübschen Julianne Moore und einem fantastischen Anthony Hopkins. Gewalt in der Literatur unterscheidet sich augenscheinlich von der Gewalt in Spielen nur dadurch, dass man den Mord in einem Spiel selbst vornimmt, interaktiv - denkt man aber nun mal genauer drüber nach, konstruiere ich den Mord beim Lesen in meinem Kopf wesentlich detaillierter und aktiver, als es in einem Spiel jemals der Fall wäre, ganz gleich, wie brutal das Spiel eigentlich ist.

Aber welche Wirkung hätte es schon zu schreiben, dass der Amokläufer am Abend zuvor ein Killerbuch gelesen hat? Literatur hat sich seit Jahrtausenden auf der Erde etabliert, sie ist eine der ältesten Kunstformen der Geschichte und durch die Dauer ihrer Anwesenheit hat sie sich ihr Anwesenheitsrecht erkämpft, Videospiele hatten gerade mal ein bisschen mehr als 30 Jahre, und ebenso wie Rock'n'Roll zu seiner Zeit wird Neuem erstmal mit Ablehnung begegnet – abseits der politschen Ausrichtung sind die meisten Menschen, besonders die Älteren, einfach sehr konservativ eingestellt. „Es hat bisher auch ohne geklappt!“, denkt man sich, und sobald es zu irgendetwas Negativem kommt, kann erstmal nur diese furchtbare Neuheit Schuld sein. Es interessiert niemanden, ob der Täter jahrelang gemobbt und gedemütigt wurde, ob er sozial isoliert war, ein Einzelgänger, für den der Gang in die Schule jeden Tag in Erwartung weiterer Demütigungen eine Qual war, ob er vielleicht sehr intelligent war, aber einfach keine Motivation hatte zu lernen und sich nun in einer Ausbildung befand, die er gar nicht machen wollte, die ihn in eine Zukunft führte, die er nicht leben wollte, ob seine Eltern sich nicht für ihn interessierten (was der Fakt, dass er ein Spiel gespielt hat, dass für sein Alter noch gar nicht freigegeben war, nur unterstreicht). Nein, das einzige, was zählt, war dieses verdammte Spiel, und nur dieses verdammte Spiel kann der alleinige Grund sein, warum dieser junge Mensch diese furchtbare Tat begangen hat, diese Verzweiflungstat. Den Tod so vieler junger Menschen etwas so Trivialem wie einem Computerspiel unterzuordnen ist nicht nur pietätslos und unrealistisch, sondern eine deutliche Demonstration der Hilflosigkeit, in der sich viele „Experten“ und „Spezialisten“ der Medienlandschaft Deutschlands nun befinden. Aus Erklärungsnot folgt Schuldzuweisung, und wie schon vor Jahrhunderten ist ein Schuldiger schnell gefunden – und ganz gleich, ob man da den Richtigen erwischt hat oder jemand völlig Unschuldigen schlicht für seine Anwesenheit bestraft: Man fühlt sich einfach besser, wenn man einen Sündenbock hat.

Ich behaupte, die wahren „Täter“ des Amoklaufs von Winnenden waren nicht nur der 17jährige Amokläufer (dessen Tat ich, sollte das jetzt anders klingen, ebenfalls aufs schärfste verurteile), sondern seine Eltern, seine Klassenkameraden, seine Lehrer. Seine Eltern, die ihn vermutlich schon in seiner Kindheit mit Waffen in Verbindung gebracht haben, die ihn Computerspiele haben spielen lassen, die für sein Alter gar nicht zugelassen sind und die einfach so an ihm vorbeigelebt haben, dass er in der Stille und Einsamkeit seines Zimmers wunderbar seine Gewaltphantasien schüren konnte und sich in gewalttriefende, alternative Welten mittels seines PCs flüchten konnte. Flüchten vor dem Mobbing und der Demütigung durch seine Mitschüler, denen noch die geringste Schuld zuzuweisen ist, weil ihnen vielleicht einfach noch die emotionale Reife fehlte. Defizite, die die Lehrer hätten ausmerzen können durch Gespräche, Zukunftsaussichten; Dinge, die dem Jungen die Angst vor der Schule hätten nehmen können. Dinge, die ihm die Angst vor der Zukunft hätten nehmen können. Denn nichts anderes war der Amoklauf von Winnenden: Ein Akt der Angst eines einsamen, verwirrten Menschen, dem niemand die Chance eingeräumt hat, ein beschauliches Leben zu führen.

Vernünftig,
Euer SteffL
CEO of Art Deco Pictures